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Sicherheit und Datenschutz: Facebook-Alternativen

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Soziale Netzwerke Diese Facebook-Alternativen sind einen Blick wert

Genug von Facebook und seiner Datengier? Diaspora und andere Peer-to-Peer-Netzwerke geben den Nutzern mehr Kontrolle über ihre Privatsphäre. Welche Angebote gibt es, was taugen sie? Der Überblick zeigt vielversprechende Alternativen zu den großen Konzern-Netzwerken.
Von Jo Bager

Am 27. August 2012 verkündeten die Diaspora-Gründer, ihr soziales Netzwerk "in die Hände der Community" zu geben. Durch die Öffnung des Codes und die Einbeziehung von wesentlich mehr Entwicklern soll Diaspora endlich schneller vorankommen. Denn besonders weit gekommen waren die Gründer mit ihrem Projekt noch nicht, nur etwa 400.000 Mitglieder weltweit nutzen Diaspora.

Dabei startete Diaspora im April 2010 mit viel Vorschusslorbeeren. Als "Facebook-Killer" erschien es auf der Bildfläche der Netzöffentlichkeit, noch bevor das junge Unternehmen überhaupt die Arbeit an dem gleichnamigen Projekt angefangen hatte, einem sozialen Netz auf Peer-to-Peer-Basis. Doch das machte nichts, die Idee traf den Zeitgeist: Facebook, damals schon mit Abstand das größte soziale Netzwerk, hatte wegen regelmäßiger Datenschutzprobleme eine schlechte Presse.

Da wirkte die Idee des Start-ups sehr attraktiv, eine als Open Source verfügbare Alternative zu entwickeln, die nicht dem Zugriff zentraler Anbieter unterliegt und bei der der einzelne Nutzer wesentlich mehr Kontrolle über seine Daten hat. Vor dem Hintergrund genügte ein Artikel in der "New York Times", um einen riesigen Hype um Diaspora anzufachen - und um dem Unternehmen eine satte Basisfinanzierung über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter zu bescheren. Mehr als 200.000 Dollar an Startkapital sammelte Diaspora innerhalb weniger Wochen ein.

Verteiltes Netz

Bereits bei der Anmeldung zeigt sich der wichtigste Unterschied zu anderen sozialen Netzwerken. Neumitglieder melden sich auf dem Server des Unternehmens Diaspora, Inc an - oder bei einem anderen Server. Eine Liste unter http://podupti.me  verweist auf Dutzende Diaspora-Server, sogenannte Pods, die Anmeldungen zulassen.

Der Dienst offeriert alle Kernfunktionen eines sozialen Netzwerks, die Facebook und Google+ auch bieten: Der Benutzer kann Nachrichten und Bilder mit Freunden austauschen, Botschaften auf Pinnwände schreiben und vieles mehr. Ein Tutorial und ein Wiki erleichtern dem Neuling die ersten Schritte.

Diaspora betreibt dabei die Trennung verschiedener sozialer Sphären der Nutzer besonders konsequent: Die Basis des sozialen Netzwerkens bilden die "Aspects", die die verschiedenen sozialen Lebensbereiche des Benutzers abbilden. Bei einem neuen Account sind zwei solcher Aspects vorgegeben, "Family" und "Work". Das Mitglied kann jederzeit weitere Aspects hinzufügen oder bestehende löschen. Jeder Aspect besteht aus einer vom Benutzer editierten Auswahl von Kontakten.

Bei jedem Posting legt man fest, innerhalb welcher Aspects es veröffentlicht werden soll. Es gibt sehr viele Parallelen zwischen den Circles in Google+ und Diasporas Aspects. Sogar das Prinzip, dass die Kontakte nicht sehen können, wie der Aspect heißt, in den sie einsortiert wurden, findet sich auch bei Google+. Diaspora-Nutzer können die Herkunft von Postings, die sie in ihrer Timeline sehen möchten, auf bestimmte Aspects einschränken.

Die einzelnen Diaspora-Server stellen keine Informationsinseln dar, sondern tauschen Informationen aus, falls erforderlich. Wenn ein Benutzer ein Status-Update einstellt, sehen das also alle seine Kontakte, auch wenn sie einen Account auf einem anderen Diaspora-Pod haben. Dazu durchforstet die Suchmaschine netzwerkweit die Namen der Mitglieder und die Tags, mit denen sie sich selbst beschreiben. Es ist für eine kommende Version geplant, dass Benutzer ihre Identität von einem zum anderen Server umziehen können sollen.

Auch zur Verbindung mit anderen Netzen sind bereits Brücken vorhanden. So kann sich Diaspora mit Facebook, Twitter und Tumblr verbinden. Die Nachrichten aus diesen Diensten bettet Diaspora zwar nicht in die persönliche Timeline ein. Man kann Diaspora aber nutzen, um gleichzeitig in Diaspora und den angebundenen Diensten zu posten. Auch lassen sich die Facebook-Freunde auflisten, zum Beispiel um sie zu Diaspora einzuladen.

In puncto Apps ist Diaspora derzeit noch fast völlig unbeleckt. Es gibt bisher nur eine externe Anwendung, die sich mit Diaspora verknüpfen können soll - den Photo-Sharing-Dienst Cubbi.es. In unseren Versuchen konnten wir uns mit einem Diaspora-Account dort aber nicht einloggen.

Informationelle Selbstbestimmung sieht anders aus

Inzwischen sind mehr als zwei Jahre seit der Ankündigung von Diaspora vergangen. Im Januar 2012 gab es gerade einmal etwas mehr als 100 Diaspora-Server mit ungefähr 400.000 Nutzern. Zum Vergleich: Facebook hat im Oktober die Marke von einer Milliarde Nutzern geknackt; und die Nutzerzahl des erst im Juni 2011 gestarteten Newcomers Google+ liegt bereits bei angeblich 400 Millionen. Schätzungen zufolge wächst Google+ um etwa 625.000 Nutzer - pro Tag.

Dass Diaspora nur eine zu vernachlässigende Benutzerbasis aufbauen konnte, hat verschiedene Gründe. So war die Software bis Redaktionsschluss noch nicht wirklich produktionsreif. Manch einen zum Thema Datenschutz affinen potentiellen Nutzer, der grundsätzlich mit so etwas wie Diaspora liebäugelt, dürfte der Status der Software abgeschreckt haben: Einem unfertigen System, das noch Fehler enthalten kann, mag der Privacy-Bewusste seine Daten nicht anvertrauen.

Vor allem dürfte aber viele Interessierte gestört haben, dass Diaspora das Peer-to-Peer-Versprechen nicht wirklich einlöst. Denn wer einen Diaspora-Server installieren will, benötigt einen Linux- oder Mac-OS-Server mit Ruby, RubyGems, Bundler, MySQL oder PostgreSQL, SQLite3, OpenSSL, libcurl, ImageMagick, Git und Redis. Wenn man diese Komponenten installiert hat, ist noch Einrichtungsarbeit von Hand notwendig.

Eine einfach zu installierende Anwendung für den PC oder den eigenen Webhoster? Fehlanzeige. So kann Otto Normalnetzwerker keinen eigenen Diaspora-Server aufsetzen und ist darauf angewiesen, einen der auf der Projekt-Homepage verlinkten, öffentlich zugänglichen Server zu nutzen - mit anderen Worten: Er muss wie bei Facebook und Google+ dem jeweiligen Betreiber vertrauen, dass dieser mit den ihm anvertrauten Daten kein Schindluder treibt. Informationelle Selbstbestimmung sieht anders aus.

Privat-Sphären

Auch weil Diaspora bislang nicht so recht durchstarten konnte, ist mittlerweile eine recht bunte Szene entstanden, in der diverse weitere Netzwerkalternativen mit den verschiedensten technischen Unterbauten entstehen. Dem Prinzip eines verteilten sozialen Netzwerks, das jedermann installieren kann, kommt darunter derzeit vermutlich friendica (vormals Friendika) am nächsten.

friendica stellt deutlich geringere Systemanforderungen und ist auch viel einfacher zu installieren als Diaspora. Im Wesentlichen benötigt es einen Apache-Webserver, PHP 5.2+, MySQL 5.x sowie die Möglichkeit, Aufgaben mit Cron oder Scheduled Tasks zu automatisieren - allesamt Anforderungen, die auch Shared Webhoster erfüllen können. Wir haben jedenfalls eine Testinstallation auf einem Shared Webspace bei Goneo zum Laufen gekriegt.

Falls der Hoster Cron oder Scheduled Tasks nicht unterstützt, kann man sich mit einem kostenlosen Account bei Cronjob.de behelfen. friendica benötigt diese Funktion, um regelmäßig ein Skript laufen zu lassen, das die öffentlichen Postings von Freunden einsammelt. Man darf sich von der per default ein wenig angestaubt wirkenden Bedienoberfläche von friendica nicht irritieren lassen - unter der Haube ist friendica mächtiger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Hat man sich erst einmal eingeloggt, kann man das Layout unter http:///admin/ site auch gleich ändern. Das als experimentell bezeichnete quattro-Design entspricht im Wesentlichen dem von Diaspora.

Wie bei Diaspora kann man auch bei friendica seine sozialen Sphären trennen, und zwar mit Profilen. Für jede Sphäre - Arbeit, Sportverein, Freunde - gibt sich der Nutzer dazu ein eigenes Profil, mit individuellen Selbstbeschreibungen et cetera. Versendete Posts lassen sich im Nachhinein editieren. Die Beiträge von anderen können mit einem "Like", aber auch mit einem "Dislike" versehen werden. friendica kann sich über sogenannte Connectors mit anderen Netzen verbinden, um dort Status-Updates abzusetzen. Dazu zählen Facebook und Diaspora sowie die Mikroblogging-Dienste Tumblr, Posterous und Twitter.

Statusstandards

Warum jedes Rad neu erfinden? Gleich mehrere Initiativen setzen auf XMPP als Grundlage für ein soziales Web, darunter BuddyCloud, Jappix und Movim. XMPP ist das "Jabber"-Protokoll, das vielen Instant Messengern zugrunde liegt. Als solches hat es sich in etlichen Implementierungen bewährt, auch Facebook nutzt für seine Chat-Funktion XMPP.

XMPP bringt "von Haus aus" bereits eine Reihe von Funktionen mit, die sich gut für dezentrale soziale Netze eignen. So hat jeder Jabber-Nutzer eine eindeutige Adresse der Form @. Jeder Benutzer kann ein Profil mit den wichtigsten Informationen über sich hinterlegen. Es gibt eine individuelle Liste von Freunden sowie die Möglichkeit, Ereignisse an andere Teilnehmer des Netzes zu senden. Die XMPP-basierten Peer-to-Peer-Netze erweitern die XMPP-Architektur um weitere Elemente für soziale Netzwerke. Bei Buddycloud gehören dazu zum Beispiel sogenannte Directory Server, die dem Benutzer helfen, Channels zu finden, die ihn interessieren.

Neben XMPP gibt es mit OStatus noch eine zweite "Standardtechnik" für den Austausch von Statusmeldungen. Das Protokoll hieß ursprünglich OpenMicroBlogging und dient(e) dazu, Mikroblogging-Dienste miteinander zu vernetzen. Es setzt dabei auf mehrere offene Protokolle auf, darunter Atom für Inhalte-Feeds. PubSubHubbub erweitert Feeds um die Möglichkeit von Push. Webfinger sorgt für eindeutige Benutzeridentitäten. Unter anderem nutzt der Mikroblogging-Dienst Identica OStatus. Für WordPress lässt es sich in Form eines Plug-ins nachrüsten, und auch friendica verfügt über einen OStatus-Connector.

Plätzchen, wechsel Dich

Die Szene der sozialen Netze auf Peer-to-Peer-Basis scheint sich sehr dynamisch zu entwickeln, Projekte kommen und gehen. Peerscape etwa scheint nicht mehr weitergepflegt zu werden - schade, denn das Projekt verfolgt den interessanten technischen Ansatz, als Add-on in Firefox zu laufen: eine besonders konsequente Vorgehensweise, die die Daten direkt beim Benutzer speichert. Aber weder Peerscape selbst noch pythonext, mit dem man Python-Code im Browser ablaufen lassen kann und das für Peerscape erforderlich ist, sind mit aktuellen Firefox-Versionen kompatibel.

Während unserer Recherchen war das SocialRiver-Projekt offline, das ein verteiltes soziales Netzwerk auf BuddyPress aufbauen will, dem Social-Network-Aufsatz für das verbreitete Blog-System WordPress. Das Projekt soll laut Homepage aber "bald" wieder ans Netz gehen. Auch bei Appleseed, einem Projekt, das auf einem LAMP-Stack aufsetzt, scheint die Entwicklung ins Stocken geraten zu sein.

Dagegen sprießen aber immer neue, vielversprechende Projekte aus dem Boden. Social Igniter zum Beispiel ist bereits im Testbetrieb. Es soll eine Art soziales Content Management System werden, das sich einfach mit den größten sozialen Netzwerken verknüpft, also etwa Facebook, Twitter, Flickr und YouTube. Thimbl entsteht als dezentraler Microblogging-Dienst, der ausschließlich auf Finger und SSH aufsetzt - ist aber noch nicht am Netz. Mit kopal soll jeder Benutzer seine Informationen auf dem eigenen Server verwalten können. Lorea hat bereits eine recht aktive Community. Allerdings stammt diese vornehmlich aus dem spanischen Sprachraum. Auch die Dokumentation ist großteils nur auf Spanisch verfügbar, weshalb sich Lorea andernorts bisher nicht ausgebreitet hat.

Über die Initiaven für ein verteiltes soziales Netzwerken hinaus gibt es eine Reihe von Bestrebungen, die eine sicherere Infrastruktur für den Datenaustausch generell schaffen wollen. Dazu zählt zum Beispiel Secure Share. Es soll ein Framework für sichere soziale Interaktionen werden, das unter anderem ein soziales Netzwerk umfasst.

Wer sich für die neuesten Trends aus der Welt sozialer Peer-to-Peer-Netze interessiert: Am 22. und 23. März 2013 findet in Amsterdam die Konferenz Unlike Us #3 statt. Bei der vom Institute of Network Cultures des Amsterdam Media Research Center veranstalteten Konferenz diskutieren Techniker, aber auch Künstler und Aktivisten über dominierende Social-Media-Plattformen und Alternativen.

Fazit

Das Bedürfnis an Alternativen zu zentralistischen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Co. ist ganz offensichtlich vorhanden, sonst würde nicht in derart vielen neuen Peer-to-Peer-Projekten geschraubt. Allerdings findet sich noch kein Facebook-Killer darunter: Das hochgejazzte Diaspora ist noch zu unfertig und vor allem: kein wirkliches Peer-to-Peer-Netz. friendica zeigt, wie sich dezentrale soziale Netze durchsetzen können: mit einem vielseitigen Angebot, das (fast) jedermann auf einem eigenen Server installieren kann und das sich mit vielen vorhandenen Netzen verbindet. friendica teilt aber mit den anderen hier vorgestellten Projekten das Problem, viel zu unbekannt zu sein.

Dabei können viele der alternativen Netze bereits Nachrichten miteinander austauschen - und auch einige althergebrachte Netze einbinden. Niemand muss also seinen Facebook-Freunden Lebewohl sagen, nur weil er seinen virtuellen Lebensmittelpunkt nach Diaspora oder friendica verlagert. Nur weiß kaum ein Facebook-Benutzer, dass er seine Postings auch mit anderen Diensten absetzen kann. Es wäre hilfreich, wenn sich die verschiedenen alternativen Projekte enger zusammenschlössen und ihre Möglichkeiten besser publizierten. So könnten sie schneller eine kritische Masse an gemeinsamen Nutzern aufbauen, die es auch für weitere Surfer interessant macht, mal die angestammten Treffpunkte zu verlassen und was Neues auszuprobieren.

Der Artikel ist im Sonderheft "c't Soziale Netze 2/2012"  erschienen.

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